Das Herbstkonzert der Stadtkapelle Wangen am Sonntagabend im Festsaal der Waldorfschule stand ganz im Zeichen des im Juli verstorbenen Dirigenten Alfred Gross. Er leitete die Stadtkapelle als Musikdirektor und Dirigent von 1973 bis 2004.
Seine Persönlichkeit prägte viele seiner Schüler nachhaltig, und er brachte die Stadtkapelle als musikalischer Botschafter Wangens zu nationaler und internationaler Bekanntheit. Seine Programme waren revolutionär, und er war maßgeblich am Erfolg der Jugendmusikschule beteiligt. Er war bis zuletzt treuer Begleiter seiner Stadtkapelle. Seinen Glauben an ein Leben nach dem Tod fasste er in diesen kurzen Worten zusammen: „Man ist nicht weg, sondern nur auf der anderen Seite.“
Das musikalische Programm dieses Herbstkonzerts, das mit dem „Cortege de Bacchus“ (Leo Delibes) aus dem Ballett „Sylvia“ einen kraftvollen Auftakt hatte, nahm zum Gedenken an Alfred Gross das Stück „Luceafarul“ (Thomas Doss) mit auf . Diese Komposition wurde für das 200-jährige Bestehen der Stadtkapelle Wangen im Jahr 2003 von ihm in Auftrag gegeben. Der „Abendstern“ – wie „Luceafarul“ zu Deutsch heißt – wurde von einer alten rumänischen Sage inspiriert, in der sich eine Prinzessin in den Abendstern verliebt. Dieser erwidert ihre Gefühle und steigt eines Abends in Menschengestalt zu ihr herab. Doch die Liebe scheitert letztendlich an ihren Ängsten und an seiner Erkenntnis, dass solch eine Verbindung zwischen Himmel und Erde unmöglich ist. Das ganze Drama dieser gefühlvollen anrührenden Komposition setzte die Stadtkapelle beeindruckend um.
Mit malerischen Impressionen von der Westküste Finnlands begann „Summer“ ( Johan de Meij), eine Komposition inspiriert von finnischer Folklore, Landschaftsimpressionen sowie einem Zitat aus der 1.Sinfonie von Jean Sibelius. Über das Geläut der Kuhglocken zu Beginn und der klangvollen Blasorchestermusik führte das Stück zu einem strahlenden Finale. „Poema Alpestre“ ( Franco Cesarini) entführte das Publikum nach der Pause in die majestätische Bergwelt der Alpen.
Tribut an Richard Strauss
Diese Komposition, ein Tribut an Richard Strauss zu dessen 50. Todestag, ist zudem inspiriert von der klassischen Novelle „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Ein ergreifendes Musikstück aus sieben Teilen, in dem die Schönheit, Pracht und die stürmische Gewalt der Bergwelt einen musikalischen Ausdruck findet. Hier wurden alle Register gezogen, mit großartiger Besetzung am Schlagwerk, das meisterhaft den Rhythmus vorgab.
Schließlich „Libertadores“ von Oscar Navarro. Die Komposition besteht aus zwei Teilen: „Amazonas“ und „Marcha de los Libertadores“. Zunächst entführte die Musik ihre Zuhörer in die geheimnisvolle Schönheit des Regenwaldes. Die Orchestermitglieder erzeugten Klangeffekte mit ihren Stimmen und Händen, durch die sie die Stämme der Ureinwohner darstellten. Im zweiten Teil eine marschartige Fanfare, die die beiden Unabhängigkeitskämpfer Simon Bolivar und Jose de San Martin portraitierte. Das triumphale Hauptthema wanderte durch die Instrumentengruppen des Orchesters, bis im Finale immer mehr Trommler zu einer regelrechten Klangexplosion hinführten.
Als Zugabe spielte die Stadtkapelle zwei großartige Kompositionen: zum einen den „Marsch der Vereinten Nationen“ von Robert Stolz, zum ersten Mal in einer Fassung für Blasmusik. Und dann noch einmal eine Hommage an Alfred Gross mit „Oktober“ (Eric Whitacre), das letzte Stück, das er als Dirigent mit der Stadtkapelle aufführte.
Text: Edgar Rohmert, Schwäbische Zeitung vom: 31.10.2016, Bild: Edgar Rohmert