Erst­auf­füh­rung der Stadt­ka­pel­le Wan­gen über­zeugt das Publi­kum

Manch­mal reicht die Spra­che nicht aus, zu beschrei­ben, was Musik trans­por­tiert – es ver­schlägt einem die Spra­che. Der Stadt­ka­pel­le Wan­gen gelan­gen in ihrem Früh­jahrs­kon­zert unter der Lei­tung von Tobi­as Zins­er im voll besetz­ten Fest­s­saal der Wal­dorf­schu­le am Sams­tag­abend sol­che Momen­te der Sprach­lo­sig­keit, was sie erneut als ein Ensem­ble der euro­päi­schen Spit­zen­klas­se aus­weist. Um Musik mit solch geball­ter Wucht und Emo­tio­na­li­tät zum Klin­gen zu brin­gen, braucht es spie­le­ri­sche und klang­li­che Per­fek­ti­on. Und Lei­den­schaft.

Euro­päi­sche Erst­auf­füh­rung an der Flö­te von Richard Nol­te
Fein auf­ge­löst, hoch dif­fe­ren­ziert und klang­lich aus­ge­wo­gen begann der Abend mit dem „Sla­wi­schen Marsch“ von Peter Tschai­kow­ski (1840–1893). Das eher gemä­ßig­te Tem­po stell­te nicht die patrio­ti­sche Auf­wal­lung beim Rin­gen zwi­schen dem jun­gen ser­bi­schen Staat und dem osma­ni­schen Reich in den Vor­der­grund, son­dern die melo­di­schen Lini­en und die reich­hal­ti­ge musi­ka­li­sche Struk­tur.

Eine mit Span­nung erwar­te­te euro­päi­sche Erst­auf­füh­rung folg­te: das „Con­cer­to for Flu­te and Wind Orches­tra“ von James Bar­nes (geb. 1949). Man ist bei moder­nen Kom­po­nis­ten ver­sucht, Ähn­lich­kei­ten mit ande­ren Kom­po­nis­ten zu suchen. Bar­nes kom­po­niert nicht wie ein x‑beliebiger Kom­po­nist, son­dern zunächst wie Bar­nes: als aus­ge­wie­se­ner Ken­ner der Instru­men­te und ihrer klang­li­chen Mög­lich­kei­ten, ein uner­schöpf­li­cher Erfin­der von Moti­ven und Melo­dien und er hat ein untrüg­li­ches Gespür dafür, wie er die­se Melo­dien per­fekt in Sze­ne setzt.

So auch bei sei­nem Flö­ten­kon­zert: zwei quir­li­ge schnel­le Sät­ze mit einem agi­len und fra­gi­len Solo­part, dem Richard Nol­te die nöti­ge prä­zi­se Ele­ganz ver­lieh, rahm­ten einen ver­träumt vibrie­ren­den lang­sa­men Satz ein, des­sen Cha­rak­ter von der sono­ren Alt-Quer­flö­te als Solo-Instru­ment ver­stärkt wird. Ganz dem Klang ver­schrie­ben, mit wech­seln­den Metren und schön her­aus­ge­ar­bei­te­ten Span­nungs­bö­gen ist es ein wah­rer Ohren­schmaus, viel­ge­stal­tig, anspruchs­voll und kom­plex und doch von einer nie müde wer­den­den Spiel­freu­de durch­zo­gen.

War die­ses Kon­zert ein ästhe­ti­scher Hoch­ge­nuss, war „The Fro­zen Cathe­dral“ von John Mackey (geb. 1953) von einer emo­tio­na­len Wucht und Dich­te, die den Atem nahm. Einem ster­ben­den Kind gewid­met, beschreibt das Werk den kana­di­schen Mount McKin­ley oder „Dena­li“ – der Gro­ße, wie er in der Spra­che der Urein­woh­ner heißt. Kris­tal­le­ne Här­te im Klang, tief gegrün­de­tes Klang­vo­lu­men und eine opu­len­te Dyna­mik las­sen Urge­wal­ten leben­dig wer­den, die jen­seits des mensch­li­chen Ein­flus­ses lie­gen. Und in die­se Käl­te hin­ein setzt der Kom­po­nist einen Fun­ken Leben in Form von sanf­ten Flö­ten­klän­gen, der uner­müd­lich immer wie­der auf­leuch­tet – ein Fanal der Hoff­nung. Ein Split­ter der Ewig­keit, ein­ge­fan­gen in Töne.

Der wei­te­re Abend brach­te herr­li­che Musik, inspi­rie­ren­de Klän­ge, mit­rei­ßen­de Rhyth­men, aber an die­se erdrü­cken­de Dich­te kam kei­ner der Kom­po­nis­ten her­an. „Jupi­ter“ aus Gus­tav Holsts (1874–1934) „Die Pla­ne­ten“ war ein über­ra­schend wen­di­ger Gigant,der beschwingt auf sei­ner Bahn tanz­te, die „Fest­val Varia­ti­ons“ von Clau­de T. Smith (1932–1987) führ­ten ein ein­gän­gi­ges The­ma in einem phan­ta­sie­vol­len Rei­gen durch alle Regis­ter, besaß rasan­te Span­nungs­bö­gen und musi­ka­li­sche Prä­gnanz, „Ama­zo­nia“ von Jan van der Roost (geb. 1956) bot all die Viel­falt auf, die das Ama­zo­nas­ge­biet besitzt und setz­te die Ursprüng­lich­keit und Wild­heit und auch die Ein­zig­ar­tig­keit von Natur und Men­schen die­ser Regi­on in uner­schöpf­li­che Klän­ge um und „God­speed“ — „Gute Rei­se“ von Ste­phen Mel­il­lo (geb. 1957) dräng­te uner­müd­li­che und kraft­strot­zend vor­an, die fie­bern­de Erwar­tung ent­lud sich in wuch­ti­gen Klang­kom­bi­na­tio­nen und gönn­te sich im Mit­tel­teil uner­war­te­ten Abschieds­schmerz.

Aber die Begeg­nung mit dem „Gro­ßen“ – tref­fen­der kann ein Name nicht sein – über­rag­te an die­sem Abend alles ande­re. Die­se Momen­te, in denen alle Musi­ka­li­tät, alle Prä­zi­si­on zurück­tre­ten und atem­lo­se, wort­lo­se Stil­le beim Ver­klin­gen des letz­ten Tons zurück­bleibt, zeich­nen ein Spit­zen­en­sem­ble aus.

Quel­le: Schwä­bi­sche Zei­tung vom 25.03.2018; geschrie­ben von Johan­nes Rahn