Einmal mehr überzeugt und begeistert hat die Stadtkapelle Wangen bei ihrem Herbstkonzert am Sonntagnachmittag mit ihrer musikalischen Vielseitigkeit und Präzision. Tobias Zinser hält sein Ensemble kontinuierlich auf europäischem Spitzenniveau und findet stets die richtige Balance zwischen musikalischem Anspruch und Publikumsgeschmack.
Den Huldigungsmarsch von Richard Wagner (1813–1883) setzte die Stadtkapelle als sorgfältig inszeniertes Klangbad in Szene, bevor sich mit dem „Mache Fantasie“ „Iste Confessor Domini“ von Alexandre Guilmant (1837–1911) die seltene und eindrucksvolle Kombination aus Orgel (gespielt von Dr. Ludwig Kibler) und Blasorchester mit hingetupften Bässen und strahlendem Schluss nicht weniger effektvoll in Szene setzte.
Wilde Klanggewitter
„Lamentation of the Archangel Michael“ von Genba Fujita (geb 1937) setzte die wohlgeordnete Welt eines großen romantischen Hymnus den Angriffen des Chaos aus, das sich in Cluster-Reibungen, heftigen Rhythmen und wilden Klanggewittern manifestierte. Das Neben- und Durcheinander der verschiedenen Elemente verstörte, und die stilistische Bandbreite ließ nur Staunen übrig.
Ein Bravourstück für alle Register war „Gallimaufry“ von Guy Woolfenden (geboren 1937). Aus der schillernden Farbpalette bediente sich die Stadtkapelle mit sicherer Hand, schuf ein buntes, bewegtes Bild der Gestalten aus Shakespeares „Henry IV“ und fächerte das Klangbild wie ein leuchtendes Pfauenrad auf.
Gustav Holsts „Second Suite in F“ schmeichelte allen Sinnen, mal mit Renaissance-Anklängen, mal als schreitender Marsch oder zum Schluss als irischer „Selbstläufer“ mit einem groß angelegten Spannungsbogen. Spannungsbögen ganz anderer Art hat Vaclav Nelhybel (1919–1996) in seinem „Symphonic Movement“ verarbeitet. Ein dramatischeres, engeres und dichteres musikalisches Geschehen ist kaum noch vorstellbar. Die komplexe, fast mikroskopisch kleinräumige Struktur wurde mit einem scharfen Klang-Messer förmlich seziert und alle Ebenen waren spannungsgeladen bis zum Exzess: Form, Rhythmus und Klang.
James Barnes (geboren 1949) entführte dann mit seiner „Danza Sinfonica“ in die Welt der südamerikanischen Rhythmen, des stolzen Gesangs und der sinnlichen Tänze – ein Fest der Musik, bei dem die Stadtkapelle auch optisch mitschwang. Das Finale aus der Orgelsinfonie von Camille Saint-Saens (1835–1921) rundete das Konzert prachtvoll ab.
Auch hier herrschte wieder das Kleinräumige, Dichte mit imposanten Steigerungen und dramatischen Umschwüngen vor – orchestrale Sinfonik in ihrer Vollendung, vollendet dargeboten.
Die Stadtkapelle Wangen zählt zu den besten europäischen Blasorchestern und zeigt stilistische und spieltechnische Perfektion, die erstaunt und mitreißt.
Quelle: Schwäbische Zeitung vom: 27.10.2010; Johannes Rahn
