Stadt­ka­pel­le bie­tet bei ihrem Herbst­kon­zert ganz gro­ße Kunst

Johan­nes Rahn von der Schwä­bi­schen Zei­tung schreibt fol­gen­des, über das Kon­zert der Stadt­ka­pel­le Wan­gen am ver­gan­ge­nen Sonn­tag:

“Tech­nik und Vir­tuo­si­tät der Musi­ker, begeis­tern die Zuhö­rer

Wan­gen — Sehr berüh­ren­de und sehr auf­wüh­len­de Momen­te, ein Feu­er­werk an Gefüh­len und Emo­ti­on: Es war ganz gro­ße Kunst, was die Stadt­ka­pel­le Wan­gen mit ihrem Diri­gen­ten Tobi­as Zins­er bei ihrem Herbst­kon­zert in der Wal­dorf­schu­le zele­brier­te. Die Kunst, die Her­zen der Zuhö­rer zu gewin­nen, sie mit­zu­rei­ßen und das mit nicht gera­de „leich­ter“ Kost.

Wil­liam T. Walt­ons Marsch Crown Impe­ri­al ver­ström­te bri­ti­schen Glanz und impe­ria­les Selbst­be­wusst­sein, die First Suite for Mili­ta­ry Band von Gus­tav Holst brach­te zwar dicht gedräng­te Stei­ge­run­gen, sehn­süch­ti­ge Fül­le und besaß auch par­odis­ti­sche und humor­vol­le Ele­men­te, aber auch sie atme­te den Geist einer Zeit, die noch in sich ruh­te.

Der Ton­fall änder­te sich mit den Four Cha­rac­ter Stu­dies von Mal­colm Bin­ney nach Figu­ren von Charles Dickens. Sie ent­wi­ckel­ten ein leben­di­ges Kalei­do­skop von schrä­gen und skur­ri­len Typen, schrill, grell und über­zeich­net, prall und bunt wie ein Comic-Strip – musi­ka­li­sche Pop-Art in knal­li­gen, schrei­en­den Far­ben.

Der Mar­che au Sup­pli­ce, der Gang zum Scha­fott aus der Sym­pho­nie Fan­tas­tique von Hec­tor Ber­li­oz wan­del­te am Ran­de des Wahn­sinns ent­lang, Gedanken‑, Bild- und Gefühls­frag­men­te wir­bel­ten durch­ein­an­der und die musi­ka­li­schen Schi­mä­ren wur­den nur müh­sam vom mar­tia­li­schen Marsch­the­ma in Zaum gehal­ten.

Ato­na­le Urflut los­ge­tre­ten

Mit sei­nen Meta­mor­pho­sen über ein The­ma von Tschai­kow­ski Extre­me Make-Over trat Johan de Meij dann eine ato­na­le Urflut los. Auf das Eben­maß eines rei­nen Saxo­fon­klan­ges folg­te das unge­brems­te Tosen von Clus­tern, Rhyth­men und har­mo­ni­schen Rei­bun­gen, gewalt­tä­tig bis zum Exzess. Das Werk ging durch Mark und Bein. Hat­te man zunächst noch den Ein­druck, dass sich Frag­men­te aus ver­schie­de­nen Wer­ken Tschai­kow­skis gegen die­se Gewalt stemm­ten, so merk­te man sehr rasch, dass auch Tschai­kow­skis Musik über wei­te Stre­cken von die­sem Geist geprägt war: Es pass­te.

Schließ­lich ent­wi­ckel­te sich aus einem Chor von auf­ein­an­der abge­stimm­ten gebla­se­nen Fla­schen ein urtüm­li­cher Rhyth­mus, des­sen immense Span­nung in einen chao­ti­schen Exzess mün­de­te. Ein musi­ka­li­sches Erleb­nis aller­ers­ter Güte, das die Zuhö­rer zu Begeis­te­rungs­stür­men hin­riss. Mit die­sem Stück wird die Stadt­ka­pel­le beim Deut­schen Orches­ter­wett­be­werb in Tros­sin­gen antre­ten.

Sato­shi Yagi­sa­was Machu Pic­chu beschreibt den Glanz und Unter­gang des Inka-Rei­ches und sein Ver­mächt­nis, die mäch­ti­ge Berg­fes­tung. Auch hier: wel­che Klang­dif­fe­ren­zie­rung, wel­che Kraft und Begeis­te­rung, wel­che Wucht in der Aus­drucks­stär­ke und zugleich tech­ni­sche Per­fek­ti­on. Mit die­sem Instru­men­ta­ri­um zeich­ne­te die Stadt­ka­pel­le dann in Samu­el R. Hazos Ara­bes­que das Bild Wüs­te, geheim­nis­voll und furcht­bar, zärt­lich und grau­sam zugleich.

Euro­päi­sche Spit­zen­klas­se, ein Prä­di­kat, das die Stadt­ka­pel­le Wan­gen seit Jahr­zehn­ten führt, ist nicht nur eine Sache der Tech­nik und Vir­tuo­si­tät. Es ist auch ein Ergeb­nis von Begeis­te­rung, an der sich die Musi­ker und das Publi­kum glei­cher­ma­ßen berau­schen kön­nen.”

Quel­le: Schwä­bi­sche Zei­tung vom 19.10.2011; Johan­nes Rahn