Gemeinsames Adventskonzert der Jugendblasorchester Friedrichshafen und Wangen im Graf-Zeppelin-Haus, bei dem das JBO Auszüge aus dem Programm für das Silvesterkonzert aufführte.
Eine Träne rinnt. Nun kann man bei einem Konzert immer nur von seinen direkten Sitznachbarn sprechen, aber der Gesang von Caroline Schnitzer dürfte nicht nur diesen Konzertbesucher anrühren. Der Auftritt der Wangener Bundespreisträgerin des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ ist einer der Höhepunkte beim Adventskonzert der Jugendblasorchester Wangen und Friedrichshafen. Untermalt von den Wangener Jungmusikern unter Leitung von Reiner Hobe singt die völlig locker wirkende 18-Jährige „Gabriellas Song“, eine bewegende, lebensmutige Hymne aus dem Film „Wie im Himmel“ – und das auch noch auswendig, in der schwedischen Originalsprache. Mit dem gewissen Etwas, das unter die Haut geht, strebt ihre in der Tiefe kreidig belegte Stimme strahlend klar werdend in die Höhe, ohne Fülle oder Lockerheit zu verlieren. Nicht minder souverän, mit viel natürlichem Schwung, führt Caroline Schnitzer durch den Jazzstandard „They can’t take that away from me“ von George Gershwin.
Die Wiedereröffnung des Hugo-Eckener-Saals nach Abschluss des GZH-Umbaus ist dieses Konzert nicht – dieses Privileg kam der Oper Halle mit ihrer „Macbeth“-Aufführung zu – aber die Bürgermeister Peter Hauswald und Stefan Köhler haben sich ihre Grußworte für dieses Adventskonzert aufgehoben, und das zu Recht: Zum einen ist der Saal fast voll, und das nicht nur mit Friedrichshafenern – das Jugendblasorchester Wangen hat so viele Zuhörer mitgebracht, dass sein Auftritt einem Heimspiel gleich kommt.
Zum anderen aber kommt an diesem Abend erstmals die neue Drehbühne zum Einsatz. Sie macht es möglich, dass jedes Orchester sein Programm nicht als geschlossenen Block spielt, sondern sie einander abwechseln: Auf Knopfdruck dreht sich die abgewandte Seite der Bühne in den Vordergrund, mit dem bereits spielbereiten Orchester; ein fliegender Wechsel ohne langwierige Umbesetzung.
Zwar ist das Symphonische Jugendblasorchester Friedrichshafen unter Leitung von Alain Wozniak klangmächtiger und die Musiker sind im Schnitt ein wenig älter, aber es ist ein Abend der Gemeinsamkeit und nicht der Konkurrenz. Das zeigt sich beim großen Finale: Den Oldie-Hit „Music“ von John Miles spielen die beiden Orchester zusammen, ohne sich um die anspruchsvollen sinfonischen Rock-Passagen zu drücken. Sie klingen denn auch fast so druckvoll wie auf der knisternden Single. In John Lennons „Happy X‑mas (War is over)“, ebenfalls gemeinsam dargeboten, treten schließlich die Orchester an die Stelle des originalen Kinderchors; ein instrumentaler Jubel, mit dem das Konzert dann auch beschlossen wird. Zuvor aber ist eine breite Palette klassischer Werke, moderner sinfonischer Blasmusik und Musical-Melodien geboten, bis hin zum Disco-Hit.
Die Stärke des Jugendblasorchesters Wangen liegt dabei insbesondere in tänzerischer Leichtigkeit und ausgefeilten perkussiven Einsätzen, die sich zu polyrhythmischer Finesse steigern. Paradestück für den Schwung des Orchesters ist die „Rhapsodie Provencale“ von Kees Vlak, die ihren beschaulich-simplen Einstieg nutzt, um umso turbulenter zu einem Tanz zu bitten, der übermütig immer schneller wird. Merkwürdig, dass ausgerechnet „Les Toreadors“ aus Bizets Carmen-Suite noch ein wenig zergliedert und hinbuchstabiert wirkt, wo doch die Carmen-Prelude wiederum den erforderlichen tollkühnen Schmiss besitzt.
Durch Kees Vlaks „African Wildlife“ führt ein Trommelfeuer gleich dreier Schlagwerker, deren Jüngster nur am über den Notenständer ragenden Haarschopf zu erkennen ist. Abenteuerlustig malen die Bläser die Weite der Steppe aus, und geschmeidig wie der Tiger, der sie durchstreift.
Ein besonderes Erlebnis ist aber auch Alexander Weh: In „Dancing ebony“ von Carl Wittrock führt der junge Wangener Solo-Klarinettist durch eine Melodie, die fast nur aus schnellen Läufen besteht; mühelos, flink und mit einer Sicherheit, die auch in größtem Tempo die Schönheit des Klangs bewahrt.
Erfrischend ist, dass beide Orchester auch die Stimmen zu ihren Instrumenten machen: Die Jugendlichen aus Wangen singen zu Trommel-Begleitung ein Lied, das auf afrikanische Zulu-Gesänge zurückgehrt, die Friedrichshafener intonieren in Thomas Doss’ „The monk and the mills“ in die Musik eingebettete gregorianische Phrasen.
Blasorchester richten sich inzwischen stark an Programmmusik aus, die ein plastisches Klanggemälde, eine epische Melodie an die nächste reiht. Das kann einem in dieser Häufung auch zuviel werden, doch das Symphonische Jugendblasorchester Friedrichshafen zeigt in der Inszenierung dieser üppigen Partituren ein enormes Geschick. Da ist etwa Otto M. Schwarz’ „Mont Blanc“, in der der Eroberungswille der Gipfelstürmer auf die majestätische Natur und ihre Widrigkeiten trifft. Aus der Konfrontation entsteht ein Heroismus, der einem „Star Wars“-Soundtrack kaum nachsteht und erfreulicherweise umso stärker aufgehellt wird: durch gespitzte Musikerlippen, die heiteres Vogelgezwitscher nachahmen, ehe sich das Orchester so intensiv heulenden Blech-Unwettern hingibt, dass man instinktiv den Kopf einzieht. Aber auch das Medley aus dem Jim-Steinman-Musical „Tanz der Vampire“ ist eine Wucht. Steinman hat in seinen Musical-Erfolg seine eigenen 80er-Jahre-Erfolge zweitverwertet, darunter „Total eclipse of the heart“, geschrieben für Bonnie Tyler – eine Meisterleistung des Bombastrocks, der die Friedrichshafener in der Instrumentalfassung mehr als gerecht werden in einer feinen Gliederung der Bläsergruppen, die sich nie zur Klangwalze verselbständigen.
Den größten Trumpf hebt sich Alain Wozniaks Truppe aber bis zum offiziellen Ende auf: den geschmeidigen Disko-Klassiker „Soul train“, der sich mit quer durchs Orchester gehenden Improvisationen zur Jazzsession entwickelt. Eine Freiheit des Spiels, die nur funktioniert, wenn die Chemie in den Reihen stimmt.
Geschrieben von: Harald Ruppert aus: http://www.suedkurier.de/region/bodenseekreis-oberschwaben/friedrichshafen/Doppeltes-Heimspiel-mit-Gaesten%3bart372474%2c5290585
