Tobias Zinser und die Stadtkapelle Wangen gestalten Frühjahrskonzert
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Was Tobias Zinser mit der Stadtkapelle Wangen für das Frühjahrskonzert einstudiert hat, ist musikalisch perfekt und trotzdem emotional hoch aufgeladen und innerlich aufwühlend gewesen.
Beim „Chorale and Alleluia“ von Howard Hanson (1896–1981) waberte die Musik wie pures Licht durchs Kirchenschiff, eine gigantische Akustik führte zu einem gigantischen Klangvolumen, das alles bewusste Wahrnehmen verdrängte und nur das direkte Miterleben übrig ließ.
Bachs Toccata und Fuge in d‑Moll erblühte mit Virtuosität und in romantischem Klanggewand, die Fuge spaltete sich feingliedrig auf die Register auf und eröffnete neue Einblicke in dieses grandiose Werk, die der perfekten Disziplin der Stadtkapelle zu verdanken waren.
Tränen gerannen zu reiner Schönheit
Das Flehen des „Prayer of Saint Gregory“ von Alan Hovhaness (1911–2000) gründete sich tief im Bass und strotzte vor Leidenschaft und Intensität.
Geradezu elektrisierend wirkte der dritte Satz „Mest, für Natalie“ aus der dritten Sinfonie von James Barnes (geboren 1946), der in diesem Stück den Tod seiner Tochter verarbeitet hat. Tränen gerannen zu reiner Schönheit, ätherische Melodien rührten an und hüllten ein, die Musik war von so viel Liebe und Zärtlichkeit erfüllt, dass sie buchstäblich zu Tränen rührte. Barnes schüttete hier ein Füllhorn an Gefühlen aus, die sich den Worten entzog und mitten ins Herz traf.
Das jüdische Totengebet, „Kaddish“ hat W. Francis McBeth (1933–2012) in Töne gefasst und auch die hatten es in sich. Schmerz und Loslassen-müssen, Hoffnung und Zuversicht lösten sich ständig ab, es war ein Auseinanderstreben und Zerren, ein mächtiges Pulsieren, das den Atem nahm, nicht weniger als „Sky is waiting“ von Samuel R. Hazo (geboren 1968). Modern aber ohne vordergründige Aggressivität überblendeten sich die Register und wechselten von sinfonischer Breite zu kammermusikalischer Intimität und über allem wölbte sich ein blauer Himmel. Auch das war ein Stück, das Gänsehaut – und zwar die der angenehmen Art – verursachte.
Die Variationen von Alfred Reed (1921 – 2005) über das armenische Kirchenlied „Praise Jerusalem“ schilderten die Auferstehung Jesu, aber ohne Zweifel auch die Leidensgeschichte davor. Der Komponist entzündete ein emotionales Feuerwerk, bei dem auch die hässliche Fratze der Gewalt und die tobende Menge mit ihrer Todesforderung aufschienen. Der Schluss jubilierte und ein Solistensextett schwang sich über das Tutti empor und ließ vor dem Applaus eine Stille zurück, in der niemand zu atmen wagte.
Zwei Zugaben, Bachs Choralbearbeitung „Jesu bleibet meine Freude“ und der St. Thomas-Choral von Pavel Stanek, brachten ein Konzert zu einem runden Ende, in dem sich musikalische und emotionale Höchstleistung zu einer vor Leben und Bewegung strotzenden Perfektion verbunden haben.
Tobias Zinser und seine Stadtkapelle haben ein tief bewegendes Konzert gestaltet, das die Karwoche und Osterfreude vorwegnahm, und den Zuhörern damit ein intensives Musikerlebnis beschert.
Quelle: Schwäbische Zeitung vom 03.04.2012 — Geschrieben von Johannes Rahn
