Wan­gens Stadt­ka­pel­le zeigt ihre Klas­se

Der Saal der Wal­dorf­schu­le war kom­plett gefüllt – zahl­rei­che Zuhö­rer woll­ten am Sonn­tag­abend hören, was der ame­ri­ka­ni­sche Kom­po­nist James Bar­nes „ihrer“ Stadt­ka­pel­le auf den Leib geschrie­ben hat. Und die Stadt­ka­pel­le unter der Lei­tung von Tobi­as Zins­er wur­de allen Erwar­tun­gen gerecht: musi­ka­lisch, tech­nisch und spie­le­risch zeig­te sie wie­der ein­mal ihre außer­ge­wöhn­li­che Klas­se, mit der sie zu den bes­ten deut­schen Ama­teur-Blas­or­ches­tern zählt.

Bei sei­ner Ach­ten Sin­fo­nie, der „Sin­fo­nie für Wan­gen“, hat James Bar­nes auf jeg­li­ches Effekt­ge­klim­per ver­zich­tet. Kei­ne Sekun­de war das Bestre­ben spür­bar, die tech­ni­sche Bril­lanz oder die spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten der Stadt­ka­pel­le beson­ders her­aus­zu­stel­len – die wur­den ein­fach vor­aus­ge­setzt. Spür­bar war in die­sem Werk etwas ganz ande­res: tie­fe Emp­find­sam­keit und ein unge­mein prä­zi­ses Gespür für musi­ka­li­sche Ent­wick­lung.

Das alles war nicht mathe­ma­tisch oder sche­ma­tisch zusam­men­ge­fügt, son­dern atme­te natür­lich durch einen melo­di­schen und har­mo­ni­schen Erfin­dungs­reich­tum, der sei­nes­glei­chen sucht. Meis­ter­haf­te Motiv- und The­men­ent­wick­lung bil­de­ten dafür den Kon­den­sa­ti­ons­kern, und Bar­nes sieht sich hier in der Tra­di­ti­on der „klas­si­schen“ Instru­men­tal­sin­fo­nie mit ihrer ganz typi­schen For­men­spra­che. Unüber­hör­bar war die the­ma­ti­sche Ver­wandt­schaft der Sät­ze, der gro­ße Bogen – der gro­ße Wurf.

Kom­po­nist am Werk, der sein Hand­werk beherrscht
Der ers­te Satz „Andan­te ma non trop­po“ stieg aus der Tie­fe empor, streng, eher düs­ter im Cha­rak­ter, aber mit einem geschmei­di­gen Sei­ten­the­ma ver­süßt. Das Scher­zo war ein fili­gra­nes, deli­ka­tes Geflecht aus kur­zen Schlag­zeug­se­quen­zen, Holz­blä­ser­ein­wür­fen und gedämpf­tem Blech, luf­tig, leicht und ver­spielt.

In der „Roman­za“, dem drit­ten Satz, wur­de die Emp­find­sam­keit des Kom­po­nis­ten am deut­lichs­ten spür­bar: zart­füh­lend die Melo­dien, exqui­sit die Behand­lung der ein­zel­nen Klang­re­gis­ter. Das Fina­le brach­te vor­an­drän­gen­de Kraft, gepaart mit har­mo­ni­scher Pracht. Hier war ein Kom­po­nist am Werk, der sein musi­ka­li­sches Hand­werk beherrscht und es mit Leben erfüllt und so über­höht.

Nach der Pau­se lei­te­te die Gran­dez­za und der ita­lie­ni­sche Bel­can­to der Ouver­tü­re zu Ros­si­nis „Bar­bier von Sevil­la“ über, zu den „Varia­ti­ons on a Bach Chora­le“ von Jack Stamp (geb. 1954). Das vier­tei­li­ge Werk goss Johann Sebas­ti­an Bachs Geist in moder­ne Form. Des Cho­ral „Nimm von uns, Herr, du treu­er Gott“ wur­de mit Schlag­werk, moder­nen Har­mo­nien und Rhyth­men geschärft, nahm an Kom­ple­xi­tät und Dich­te zu, bis er in einen strah­len­den Schluss mün­de­te.

Auch „Audi­vi media noc­te“ von Oli­ver Waespi (geb. 1971) lehn­te sich an ein altes Vor­bild an: eine Motet­te des eng­li­schen Kom­po­nis­ten Tho­mas Tal­lis aus dem 16. Jahr­hun­dert. Bedroh­li­ches schlich im Dun­keln umher, fremd­ar­tig und geheim­nis­voll brei­te­te sich die Nacht aus, ver­träumt glit­zer­te das Mond­licht – alle Facet­ten der Nacht waren hier ver­tre­ten. Schließ­lich aber brach mit hals­bre­che­ri­schen Soli von Posau­ne, Saxo­phon, Trom­pe­te, Eupho­ni­um und Schlag­zeug ein Tanz wil­der Dämo­nen los, unge­zü­gelt, wild und von rausch­haf­tem Wahn durch­tränkt.

Nach die­sem wil­den Ritt stimm­te „Tul­sa – A Sym­pho­nic Por­trait in Oil“ von Don Gil­lis (1912–1978) ver­söhn­lich, denn das Werk schil­dert die Ent­wick­lung der Öl-Stadt in Okla­ho­ma mit bun­ten Far­ben: wei­te, wogen­de Gras­land­schaf­ten ent­ste­hen vor dem Auge des Betrach­ters, wil­de Kämp­fe mit wir­beln­den Pfer­de­hu­fen und am Ende die Para­de durch die Stadt – alles blit­zen­de Ideen, herr­lich ver­ar­bei­tet und wun­der­bar ins Ohr gehend und durch­aus humor­voll in Sze­ne gesetzt.

Wan­gen darf stolz sein auf sei­ne Blas­ka­pel­le
Zwei Zuga­ben run­de­ten das Kon­zert ab: Der Flo­ren­ti­ner Marsch von Juli­us Fucik und – damit schloss sich der Kreis der Abends – „Thre­no­dy“ von James Bar­nes, ein Kla­ge­lied des Kom­po­nis­ten für einen befreun­de­ten Musi­ker, eine euro­päi­sche Urauf­füh­rung und musi­ka­lisch eine ergrei­fen­de, aber herz­li­che Erin­ne­rung an einen nahe­ste­hen­den Men­schen.

Tobi­as Zins­er nann­te sei­ne Stadt­ka­pel­le salopp einen „tol­len Hau­fen“. Das ist sie auch, von ihrem Ein­satz her, aber auch von ihrem Kön­nen. Und dass ein Kom­po­nist vom For­mat eines James Bar­nes für die­ses Blas­or­ches­ter schreibt, unter­streicht die­ses State­ment. Wan­gen darf auf sei­ne Stadt­ka­pel­le mit gutem Recht stolz sein.

Quel­le: Schwä­bi­sche Zei­tung vom 23.03.2015 geschrie­ben von Johan­nes Hahn