Das erste Herbstkonzert der Stadtkapelle seit zwei Jahren hat unter der Leitung von Tobias Zinser coronakonform stattgefunden – mit 3G, Maskenpflicht und ohne Pause. Das tat dem Genuss und der Qualität des Abends keinen Abbruch: Blasmusik auf höchstem Niveau mit der perfekten Balance aus Anspruch und Hörgenuss. Als Solist mit dabei war Andreas Martin Hofmeir – nicht nur als Tubist ein künstlerisches Unikat.
Zunächst gab es mit dem Marsch „Rákóczi“ aus der Feder von Hector Berlioz (1803 bis 1869) ungarisches Flair an das sich „An Original Suite for Military Band“ von Gordon Jacob (1895 bis 1984) anschloss. Das virtuose Spiel mit den Stimmungen und den Klangfarben eines Blasorchester haben das Stück zum Klassiker gemacht. Es schmeichelt dem Ohr, die schnellen Sätze putzmunter und mit Jazz-Anklängen, alles organisch wachsend und in ständigem Fluss.
Dicht, spannungsgeladen und mitreißend
Stephen L. Melillo (geboren 1957) schrieb sein „Concerto for Tuba – The Strong Soul“ als Schilderung von seelischem Wachstum durch Leid und Kampf, ungemein dicht, spannungsgeladen und mitreißend. Es war an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt zu hören. Die drei Sätze spannten sich zwischen Extremen, ohne in musikalischen Extremismus zu verfallen. Die Kraft, dargestellt durch einen virtuosen, komplexen Solo-Part der Tuba, verfiel nicht in vordergründige Effekte, sondern pendelte zwischen emotionalem Hexenkessel und grüblerischer Ruhe, innerer Atemlosigkeit und tiefer Ruhe und Andreas Martin Hofmeir holte alle klanglichen Nuancen aus dem mächtigen Instrument heraus und die Stadtkapelle erwies sich als adäquater Sparring-Partner für dieses wuchtige, eindrucksvolle Stück Musik.
In „Perthishire Majesty“ von Samuel R. Hazo (geboren 1966) spielte die Stadtkapelle ihre Klangfülle perfekt aus und hüllte den Zuhörer völlig ein, während aus den wechselnden Metren, geschickten Verdichtungen und zündenden Melodien der „Caucasian Rhapsody“ von Andrej Babaev (1923 bis 1964) spritzige Lebensfreude sprach. Mikhail Protsenko, den Tobais Zinser auf der letzten Russlandreise der Stadtkapelle kennengelernt hat und der inzwischen in Lochau lebt, hat diese Lebendigkeit eins zu eins auf die Möglichkeiten eines Blasorchesters übersetzt.
Hofmeir beweist humoristische Qualitäten
Vor und auch während des berühmten „Czárdás“ von Vittorio Monti (1868 bis 1922) bewies Martin Andeas Hofmeir seine humoristischen Qualitäten, verbal, in seinem Abriss über die Geschichte und die Möglichkeiten der Tuba, musikalisch in seiner Interpretation des altbekannten Stückes, das er auf seinem großen, als schwerfällig angesehenen Instrument mit Leichtigkeit und viel Augenzwinkern servierte.
Die „Klezmer Classics“ von Johan de Meji (geboren 1953) spielten mit Versatzstücken dieser jüdischen Musik, kombinierten sie mit modernen Elementen und der Klangwucht eines Blasorchesters, ohne auf die „sprechenden“ Klarinetten und die mitreißenden Rhythmen zu verzichten – es machte einfach Spaß, dieser geballten Ladung guter Laune zuzuhören. Nicht weniger eindrucksvoll gelang „Granada“ von Agustin Lara (1897–1970), das andalusischen Stolz und arabisches Erbe, Paso Doble und klangvolle Romantik in einer vollkommenen Dramaturgie miteinander verbindet – ein musikalischer Geniestreich.
Publikum erklatscht sich Zugaben
Zwei Zugaben erklatschte sich das Publikum, einmal den Marsch „Einzug der Gladiatoren“ von Julius Fucik und dann die Ballade „Share my Yoke“, die vom stets barfuß spielenden Andreas Martin Hofmeir allen Verheirateten gewidmet wurde.
Besondere Erwähnung fand diesmal „Senior“ Werner Bufler, der am Konzertabend seinen 86. Geburtstag feierte und seit 72 Jahren aktiv als Hornist bei der Stadtkapelle mit dabei ist – ein Zeichen dafür, dass die Stadtkapelle und ihre lange Reihe von Dirigenten nicht nur ihr Publikum mit Musikauswahl und Qualität zu begeistern wissen, sondern auch die eigenen Musiker. Das eine bedingte wohl das andere.
Quelle: Schwäbische Zeitung vom 24.10.21